Neuigkeiten aus dem Burgort Bilstein
Das Kriegsende in Bilstein
von Ulrich Rauchheld
Geschichte über den Einmarsch der Amerikanischen Streitkräfte am 10. April 1945 in Bilstein.
Mit Zeitzeugen hat Ulrich Rauchheld vor 10 Jahren gesprochen, die mittlerweile alle verstorben sind.
Das Kriegsende in Bilstein
Am 10. April 2024 jährt sich zum 79. Mal der Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte in Bilstein. Nicht nur ein wichtiges Datum der hiesigen Ortsgeschichte. Knapp einen Monat später, am 8. Mai 1945 kapitulierte das Deutsche Reich bedingungslos. Ein Grund, in diesen Tagen und Wochen, an die Ereignisse zum Ausgang des Zweiten Weltkriegs in unserer Heimat zu erinnern.
Vor 10 Jahren habe ich mit den noch damals lebenden Zeitzeugen gesprochen und wichtige Ereignisse aufgeschrieben.
Strategisch gehörte das Sauerland zum sogenannten Ruhrkessel. Die alliierten Streitkräfte aus Amerikanern, Briten und Franzosen kamen aus verschiedenen westlichen Richtungen und vereinigten sich später in Lippstadt. Dort saßen dann ca. 300000 deutsche Soldaten in der Falle. Bei dieser Schlacht zwischen dem 1. und 21. April fielen 1500 alliierte und 10000 deutsche Soldaten und Zivilisten.
Sicher ist dieser Jahrestag ein Grund, zurück zu schauen und noch lebende Zeitzeugen nach diesen geschichtsträchtigen Tagen zu befragen. Zu ihnen gehören: Maria Stamm[1], geborene Birkelbach, verwitwete Nüschen(*1920), Theo Epe[2] (*1928), Josef Jung (*1931), Hanne Jung, geborene Schleime (*1935), Bruno Heidschötter (*1932) und Wilja Hoffmann[3], geborene Steinhoff(*1930), an deren Erinnerungsvermögen ich im Januar 2015 appellierte. Keine leichte Aufgabe für die Befragten nach 70 Jahren. Ausführliche Informationen konnte ich jedoch dem Pfarrarchiv entnehmen. Pastor Schulte, von 1942 - 1953 in Bilstein Pfarrer, hatte alle aus seiner Sicht wichtigen und zugetragenen Geschehnisse aufgeschrieben.
Die letzten Wochen, bevor der Krieg nach Bilstein kam, waren geprägt durch Trecks von Menschen, die aus dem Rheinland und Ruhrgebiet vor den anrückenden Armeen flohen. Die Flüchtigen zogen durch unser Dorf und fanden teilweise bei uns Unterschlupf. Sie waren in ihrer Heimat ausgebombt worden und hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Im Pfarrhaus waren zu dieser Zeit 18 Flüchtlinge untergebracht.
Am 4. Februar 1945 beschloss der Bilsteiner Gemeinderat; noch drei Luftschutzstollen zu bauen. Die Volksvertreter schlugen vor, die Arbeiten an einen Unternehmer zu vergeben und schleunigst durchzuführen, „sobald die erforderlichen Gerätschaften (Kompressor usw.) zu erhalten sind. Dazu kam es natürlich nicht mehr. Die Ereignisse überschlugen sich..."
Landrat Evers ist es zu verdanken, dass die ca. 400 fahnentreuen „Jünglinge" eines Wehrertüchtigungslagers auf der Burg den einmarschierenden Amerikanern nicht noch einen Kampf lieferten. Ewers hatte sie davon überzeugen können, dass dieser Kampf sinnlose und unnötige Opfer kosten würde. Auch die auf der Hohen Bracht stationierten Soldaten verzogen sich rechtzeitig. Sonst wäre es Bilstein wohl so ergangen wie Oberhundem. Dort wurden nämlich durch Gefechte mehr als 20 Häuser völlig zerstört. Selbst in Kirchveischede und Bonzel gingen einige Häuser in Flammen auf. Bilstein selbst kam bis auf einige beschädigte Gebäude mit dem Schrecken davon, denn das oberhalb des Steinbruches bei der Burg aufgestellte Geschütz wurde frühzeitig verlassen. Allerdings erhielten die Häuser in der Schnettmecke durch amerikanische Geschosse 54 Einschläge. Aufklärungsflugzeuge beobachteten eine größere Ansammlung deutscher Soldaten bei dem Hause Jung und reagierten entsprechend. Diese Soldaten zogen dann rechtzeitig Richtung Klockhellern weiter. Ebenfalls die Soldaten, die die auf dem Nochen stationierte Vierlinksflack bedienten. Diese hatten stundenlang über den Rosenberg hinweg ins Repetal geschossen. Ein Jabo feuerte auf einen bereits kampfunfähigen Panzer, der bei Vogtes stand.
Bereits ab Montag, den 9. April 1945, hielt sich der große Teil der Bilsteiner Bürger in Kellern auf, um sich vor dem Beschuss zu schützen. In Beyers Keller auf dem Werth wurden 45 Personen gezählt. Die ganze Nacht zwischen dem 9. und 10. April waren Artilleriefeuer zu hören. Dadurch gingen 12 Hektar der zehnjährigen Fichten des Pfarrwaldes am Rüberg in Flammen auf. Zu dieser Zeit befand sich im "Hotel zur Post" ein Lazarett mit 25 verwundeten Soldaten. Hier arbeitete Frau Helene Grünewald, die Frau des späteren Dorfarztes Rudolf Grünewald, als Krankenschwester. Zur gleichen Zeit hatte Generalfeldmarschall Walter Model mit seinem Stab auf seinem Rückzug dort für einige Tage seinen Standort. Im Haus Rinscheid waren Fremdarbeiter aus Russland und Serbien untergebracht, die in der Fabrik und bei den im Orte ansässigen Bauern arbeiteten. Der Unterricht in der Volksschule war nicht mehr möglich, weil die Klassenräume von deutschen Soldaten besetzt waren. Nach der amerikanischen Besetzung lagerten im Schulgebäude russische Fremdarbeiter. Bis in den Herbst 1945 fiel der Unterricht aus.
Der Volkssturm sollte aus Fichtenstämmen Panzersperren am Ortseingang bauen. Eine naive Sache, denn der "Ami" kam nicht über die Straße, sondern rückte über die Hohe Bracht in den Ort ein. Eine überaus ernste und riskante Angelegenheit war die Erst-kommunionfeier, die wegen dieser Ereignisse schon am Ostermontag, dem 2.April in aller Frühe stattfand. Die Lage war einfach zu gefährlich, und keiner wusste, was auf Bilstein zukam.
Als etwa 50 -100 amerikanische Soldaten zu Fuß einmarschierten,- Panzer rückten erst einen Tag später nach - waren die Bilsteiner Nazis[1] die Ersten, die die Binde des Roten Kreuzes am Arm trugen! Undurchsichtig ist der Tod von 5 Soldaten, darunter des Bilsteiner Heinrich Picker. Sie hatten im Keller des Hauses Sonntag in der Helsmecke Schutz gesucht und waren dann am Dienstag, 10. April, auf die einrückenden amerikanischen Soldaten getroffen. Drei Tage später fand man ihre Leichen im oberen Teil der Helsmecke auf Schaulen Wiese in der Nähe von "Haus Sonnenschein". Vorher hatten die Amerikaner 10 Soldaten und den Bilsteiner Postbeamten Franz Rath gefangen genommen. Ihnen wurden die Hände über dem Kopf zusammen gebunden und über die Hohe Bracht, Richtung Hofolpe, getrieben. Franz Rath, in Postuniform, hatte ein steifes Bein und war vielleicht nicht schnell genug gegangen, so die Pfarrchronik. Man fand ihn tot am 14. April auf dem Weg zur Hohen Bracht. Er und die 5 getöteten Soldaten wurden am 13. und 14. April auf unserem Friedhof beigesetzt.
Hunderte Bilsteiner Bürger mussten nach dem Einmarsch der Amerikaner ihre Häuser verlassen und sich auf Köers Wiese sammeln, dem heutigenbebauten Grundstückbeim Haus Korte. Willi Nüschen musste den Bilsteiner Bürgern diese Botschaft überbringen. Erst drei Tage später durften sie wieder in ihre Häuser zurück. Die meisten schliefen in der Kirche, im Pfarrhaus und in einigen wenigen größeren Bilsteiner Häusern. In dieser Zeit durchsuchten die Amerikaner jedes Haus und nahmen alles mit, was sie gebrauchen konnten. Im Haus Sondermann auf dem heutigen Gerberweg, hinterließ ein Soldat seine Notdurft in einem Bett. Bei Heidschötters wurde ein großer Knochenschinken gestohlen. Bevor die hiesigen Einwohnerin ihre Häuser zurück durften, wurden sie alle registriert Viele Bürger des Dorfes vermissten nach ihrer Rückkehr ihre Uhren..
Die gefangen genommenen deutschen Soldaten wurden in Brill´s Garten zusammen getrieben und nach ein paar Tagen mit LKWs abtransportiert. Auf sie wartete die Gefangenschaft. Die amerikanischen Besatzer beschlagnahmten das „Brill´s Haus"(Freusberghaus). Die Mieter mussten ins Fabrikgebäude umziehen. Nur Franz Brill mit Tochter Mathilde durfte dort wohnen bleiben. Die Ortkommandantur befahl fortan im Café Kaufmann. Dort musste Bruno Heidschötter vier Wochen lang jeden Tag vor dem Haus fegen, weil er sich verweigert hatte, Kartoffelkäfer auf den Feldern zu sammeln.
In der Zeit von Kriegende bis Mitte 1946 vagabundierten die freigesetzten ehemaligen Fremdarbeiter, vor denen keiner sicher war. Sie plünderten vor allem die alleinstehenden Höfe, wie z. B. Hengstebeck und Einsiedelei. Bei einem dieser Raubzüge wurde der Förster der Einsiedelei erschossen. Nicht nur Fremdarbeiter, auch Deutsche beteiligten sich in diesem Chaos an der Plünderung. Aus der
Tabakfabrik Brill wurden nämlich 600 Zentner Rohtabak gestohlen. Selbst Pastor Hogrebe kam nicht ungeschoren davon. Er musste seine wertvolle Uhr abgeben. Die auf Burg Bilstein hausenden Fremdarbeiter zerschlugen das gesamte Inventar und verbrannten es. „Angenehm" waren dagegen die 30 serbischen Fremdarbeiter in Bilstein und Kirchveischede. Nur das Wild im Wald war vor ihnen nicht sicher. Alle waren jedenfalls froh, als im Juli 46 die Fremdarbeiter zurück in ihre Heimat gebracht wurden.
War das Leben während des Krieges nicht einfach, so war es nach dem Krieg noch schwerer, den Lebensunterhalt besonders im Winter 1946/47 zu bestreiten. Zudem war Bilstein überfüllt mit Flüchtlingen, die auch versorgt werden wollten. Jedoch war die Lage auf dem Land immer noch wesentlich besser als in den Städten. Hier hatte jeder einen Garten mit Gemüse und Kartoffeln, und viele hatten im Nebenerwerb eine kleine Landwirtschaft mit Schweinen, Ziegen oder sogar einer Kuh. Der damalige Bürgermeister und Rechtsanwalt Karl Grünewald war es, der für ein gutes Klima zu den Besatzern sorgte und so manches erreichte, was das Leben ein wenig erleichterte. Karl Grünewald ging dann später wieder zurück nach Siegen, wo er eine Anwaltskanzlei betrieb.
Nach den Amerikanern kamen für einige Wochen die Belgier und später dann bis zur Währungsreform die britischen Soldaten. Zwischen diesen Besatzungssoldaten und der Bevölkerung entwickelte sich ein teilweise freundschaftliches Verhältnis. Hedwig Gespers lernte dort den Sergant Wally Rees kennen, den sie 1947 heiratete. Sie wohnte dann in Südwales, bis sie nach dem Tod ihres Mannes 2003 wieder nach Bilstein zog. Sie hat den Kontakt im Laufe von über 50 Jahren zu ihrer Heimat nie abbrechen lassen und kam jedes Jahr, fast immer zum Schützenfest nach Bilstein. Die Ehe blieb kinderlos. Hedwig Gespers verstarb 2013.
Stephan Wlodarzak, ein polnischer Kriegsgefangener, kam bereits 1940 nach Bilstein und arbeitete in seinem erlernten Beruf auf der Burg als Schmied und später mit Peter Allebrodt im Wald. Auch er lernte ein Bilsteiner Mädel kennen und lieben. Es war Regina Birkelbach, die er 1947 heiratete. Sie bekamen zusammen 4 Kinder. Margret, Agatha, Brigitte und Anne. Erst 1955 legte er seinen ursprünglichen Namen ab und hieß fortan Schulze. Stefan starb 1992. Regina 2001.
Gisela Jung, Schwester von Josef Jung, machte gegen Ende des Krieges ihr Landpflichtjahr auf dem Hof des Landwirts Epe, genannt "Krachtes", in Kirchveischede. Dort lernte sie den serbischen Fremdarbeiter Pero Petrovic kennen. Heimlich traf man sich abends auf dem Brenscheid, da es verboten war,
mit Fremdarbeitern näheren Kontakt zu haben. Mit Ende des Krieges brauchten sie ihre Liebe zueinander nicht mehr verstecken und heiratete 1946. 1947 und 1949 wurden Sohn Bozo und Tochter Margitta geboren. 1956 wanderte dann die Familie Petrovic in die USA aus. In den folgenden Jahren waren sie regelmäßig wieder zur Gast in der Heimat. Pero verstarb 1990. Gisela lebt heute in Florida. Sie war 2009 zum letzten Mal in Bilstein.
Die Jahre gingen ins Land, und Bilstein erholte sich von Leid und Entbehrungen des Krieges. Peter Hoff war der letzte Soldat aus Bilstein, der erst 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kam. Er wurde am Ortseingang von vielen Bilsteiner Bürgern und dem Musikverein empfangen. Insgesamt verloren 57 Bilsteiner Männer zwischen 17 und 44 Jahren im Zweiten Weltkrieg ihr Leben.
[1]Maria Stamm, geborene Birkelbach war die letzte Schützenkönigin in Bilstein vor dem 2. Weltkrieg. Schützenkönig war ihr späterer Mann Albert Nüschen, der bis zu Einberufung zur Wehrmacht im Betrieb seines Bruders Reinhold als Schreiner arbeitete. 1943 heiratete sie ihren Albert, und sie wohnten fortan im Hause Brill, auch Freusberghaus genannt, in der Dorfmitte.1944 wurde Sohn Karl-Josef geboren. Doch dieses junge Familienglück währte nicht lang. Im Herbst 1944 wurde Albert Nüschen eingezogen und fiel im Februar 1945, drei Monate vor Kriegsende in Pommern. Sein Grab ist bis heute nicht ausfindig zu machen.
Postbote Franz Rath überbrachte dann die Nachricht vom Tod des Ehemannes. "Ich wusste direkt, was dieser Brief bedeutete", so Maria Stamm heute. Um ihren und den Lebensunterhalt ihres Sohnes Karl-Josef zu gewährleisten, arbeitetMaria Stamm beim "Aßmanns Täntchen" in der Pension und in der Tabakfabrik Brill. Später bekam sie dann für sich und ihren SohnRM 100,- Witwen-u. Waisenrente. Als Miete musste sie Mathilde Brill im Sommer RM 25,- und im Winter RM 50,- incl. Heizung bezahlen.
1951 heiratete Maria Stamm Reinhold Stamm. Aus dieser Ehe gingen die beiden Kinder Gerhard und Annette. hervor. Reinhold verstarb 2013.
[2] Theo Epe wurde während des Krieges zuerst in die Wehrertüchtigungslage auf Burg Bilstein und dann Anfang 1945 zum Reichsarbeitsdienst, in der Nähe von Betzdorf eingezogen. Ende 1944 bekamen er und sein Freund Eduard Kebbekus den Stellungsbefehl nach Dortmund. Diesen ignorierten sie und schlugen sich stattdessen nach Bilstein durch. Dort versteckte man sich bis zum Kriegsende in einer Hütte auf der "Höh.
Anton Epe, Theo Epes Vater, arbeitete zu dieser Zeit bei der Fa. Großhaus, Bonzelerhammer. Dort waren auch Fremdarbeiter beschäftigt. Er und Carl Großhaus hatten großes Glück, dass man sie als Verantwortliche für die Fremdarbeiter nach 14 Tagen Haft in Siegen wieder nach Hause gehen ließ. Sie sollten den Fremdarbeitern unerlaubt Vorzüge, wie extra Essen und Bewegungsfreiheit eingeräumt haben. Diese Fremdarbeiter wohnten in Bonzelerhammer in Baracken. Nach dem Krieg fanden dort jüdische Mädchen und Frauen, Überlebende aus Konzentrationslagern, Unterkunft.
[3] Wilja Hoffmann, geborene Steinhoff, ist die Tochter Otto Steinhoffs aus dem ehemaligen „Hotel zur Post" in Bilstein.[4] Die Nazis aus Bilstein sin dem Verfasser bekannt.